Der Widerstreit und die Vielfalt der Erzählungen

Schon Jean-François Lyotard versucht, den zum Ende des 20. Jahrhunderts einsetzenden fundamentalen Umbruch der Gesellschaftstechnologien zu erfassen, und diagnostiziert das Ende der „großen Erzählungen“ von Freiheit und Aufklärung. Er erschütterte den eingefahrenen Glauben an Konsens und Wissenschaft als interessefreien Raum und führte konsequent die Aporien des „Projekts Aufklärung“ vor.

Michel Foucault zu Folge ist der Diskurs all das, was zu einem Ding gesagt werden kann. Die „Ordnung des Diskurses“ (1993) wird durch zugrundeliegende, vermachtete Strukturen bestimmt. Macht ist auch der entscheidende Faktor darüber, welche Aussagen dann tatsächlich auch gesellschaftlich relevant getätigt werden. Wie man heute an den zunehmenden „Fake-News“ sehen kann, geht es nicht um Wahrheit, sondern um das Beherrschen der Diskurse.

Die Struktur unserer Gesellschaft wird wesentlich durch Sprache und Diskurse geformt. Die zentrale Frage ist demnach die nach der Ordnung dieser unterschiedlichen Diskurse. So ist der „Widerstreit“ (1987) Lyotards nichts anderes als eine Theorie einer diskursiven Gerechtigkeit. Kommunikation ist die Grundlage von Gesellschaft – zumindest wenn wir Gesellschaft nicht als willkürliches Aggregat, als reines Nebeneinander von Menschen verstehen wollen, sondern sie immer als ein miteinander denken. Dieses Miteinander bedeutet Interaktion,

Die Frage, inwieweit nach (Auf-)lösung strebende Konflikte also zur (Weiter-)Entwicklung unserer Gesellschaften führen, spiegelt sich auch in diesem Widerstreit wieder. An die Stelle eines vorherrschenden Gleubens an gesellschaftlichen Fortschritts tritt das Modell einer Koexistenz verschiedenster Konflikte, Anschauungen und Erzählungen, die inkommensurabel sind – hier also keine Auflösung im Sinne des dialektischen Dreischritts aus These, Antithese und Synthese zu erwarten ist. Letztlich ist diese Abkehr vom Fortschrittsglauben und die Hinwendung zur Vermittlung von Konflikten und der Koexistenz von verschiedensten Positionen das Kernstück der Philosophie des Widerstreits, der postmodernen Verabsolutierung eines echten Pluralismus.

Quelle: https://www.3sat.de/wissen/scobel/210805-youtube-scobel-100.html

Wie weitersprechen?

Wie hält man diese widerstreitenden Erzählungen vom Anthopozän, von der Klimakatastrophe, dem Artensterben und der globalen Ungerechtigkeit aus? Welche Erzählung kann uns helfen, persönlich und als Gesellschaft?

Unser [plan · e] für den Planeten Erde und für uns ist das ERZÄHLEN: die Unterschiedlich- und Vielschichtigkeit der Erzählungen, das Netzwerk der Welterzählung mit ihren Traditionslinien und Insellagen. Marketingfachleute reden hier von „Narration“ und „Framing“, aber hier geht es nicht nur um nette Rhetorik, hier geht es um unsere Köpfe, unser Erleben, hier geht es um die Transformation der Gesellschaft durch Sprache und künstlerische Aktionen.

Lasst uns einfach mehr Liebesgeschichten erzählen!

“I feel like we’ve got to fall in love with nature again; we do incredible things for each other when we fall in love. We’ve been encouraged not to love animals, not to love plants, in order to enable us and others to be heartless about them and treat them as products and commodities to be used, and that’s not working.”

„Ich habe das Gefühl, dass wir uns wieder in die Natur verlieben müssen; wenn wir uns verlieben, tun wir unglaubliche Dinge füreinander. Wir wurden dazu ermutigt, Tiere und Pflanzen nicht zu lieben, damit wir und andere ihnen gegenüber herzlos sein und sie wie Produkte und Waren behandeln können, die man einfach benutzt, aber das funktioniert nicht.“

https://www.theguardian.com/culture/2021/jun/01/mark-rylance-arts-should-tell-love-stories-about-nature-to-tackle-climate-crisis

Vielleicht ist das der Grund für den Erfolg des „Nature Writing“ wie den „Naturkunden“ im Verlag Matthes & Seitz, Berlin.

Das Anthropozän und seine Erzählungen

Barbara Unmüßig: Das Anthropozän Erzählen: fünf Narrative
https://www.uni-vechta.de/publikationen
https://journals.openedition.org/allemagne/1957

Barbara Unmüßig: Die Erzählung vom Anthropozän. Mensch macht Epoche.
https://www.oekom.de/_files_media/zeitschriften/artikel/POE_2021_04_24.pdf

Ludwig Trepl: Weltgärtner im Anthropozän
https://scilogs.spektrum.de/landschaft-oekologie/weltg-rtner-im-anthropoz-n/

Die Erde ist auch nur eine Insel im Weltraum: „Literatur auf der Insel“

In „Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen“ erzählt Philipp Weiss von der Verwandlung der Welt im Anthropozän, jener Epoche der Erdgeschichte, in welcher der Mensch zur zentralen gestaltenden Kraft geworden ist. Zwischen Frankreich und Japan, zwischen dem 19. und dem 21. Jahrhundert, in Form von Enzyklopädie, Erzählung, Notizheft, Audiotranskription und Comic entwirft dieser kühne Roman ein Panoptikum unserer fliehenden Wirklichkeit.

https://insel.news/literatur/PID/2058/evl/0/CategoryID/388?CategoryName=11.-Juni-2021-Philipp-Weiss

Wir erzählenden Affen.
Kultur als Schlüssel für unsere gemeinsame Zukunft

In diesem Sinn schreibt auch Thorsten Krug in der WZ-Kolumne für )) freies netz werk )) KULTUR:
„Wenn wir als Gesellschaft(en) wieder zusammenrücken wollen – und das ist für unsere gemeinsame Zukunft unabdingbar –, brauchen wir Orte und Räume, an und in denen wir uns gegenseitig verbindende Geschichten erzählen können. Die Kultur ist das, was uns als Menschen zusammenhält. Auch in Wuppertal. „

3 Antworten auf „Der Widerstreit und die Vielfalt der Erzählungen“

  1. Samira El Ouassil, Friedemann Karig: Erzählende Affen. Mythen, Lügen, Utopien – wie Geschichten unser Leben bestimmen. Ullstein Verlag, Berlin 2021. 528 Seiten, 25 Euro.

    „Diese „Macht der Narrative“ existiert fraglos, aber sie ist eben auch: ein Narrativ für eine Zeit, in der Menschen auf der ganzen Welt ununterbrochen Texte und Bilder konsumieren und produzieren. Eines, das verlockend ist für diejenigen, die am liebsten mit Worten handeln. Die Gefahr, die aber darin liegt, ist die Trivialisierung der Verhältnisse und die Banalisierung der Taten.“

    https://www.sueddeutsche.de/kultur/samira-el-ouassil-friedemann-karig-erzaehlende-affen-1.5441573

    https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/druckfrisch/sendung/denis-scheck-empfiehlt-erzaehlende-affen-100.html

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